Multiple Sklerose ist bis heute nicht heilbar. Doch wie wird MS dann überhaupt behandelt? Weil Ursachen und Auslösefaktoren der Krankheit bis dato nicht abschließend erforscht werden konnten, zielen die verschiedenen Behandlungsmöglichkeiten vor allem darauf ab, Patienten das Leben mit der Erkrankung zu erleichtern. Dabei können einerseits spezielle MS Medikamente zum Einsatz kommen, die auf den Körper und das Immunsystem einwirken. Andererseits helfen Physio- und Ergotherapie, die Symptome einzudämmen. Auch kann bei multipler Sklerose die richtige Ernährung bzw. eine Ernährungsumstellung nicht selten für einen positiven Krankheitsverlauf förderlich sein.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie (DGN) hat in Zusammenarbeit mit dem Krankheitsbezogenen Kompetenznetz Multiple Sklerose ein multimodales Stufenkonzept zur Therapie der Multiplen Sklerose entwickelt. Die eingesetzten Medikamente sowie die individuell auf den Patienten abgestimmten Behandlungsmethoden richten sich dabei nach der Verlaufsform der Krankheit. Grundsätzlich sollten therapeutische Maßnahmen so früh wie möglich erfolgen, also bereits bei ersten Verdachtsmomenten und der Diagnose des klinisch isolierten Syndroms.
Die Forschung hat ergeben, dass sich die Erkrankung bei etwa 80 Prozent der Patienten mit Multipler Sklerose besonders in der Anfangszeit mit akuten Schüben zeigt. Die Schubtherapie zielt entsprechend darauf ab, die Symptome (und die damit verbundene Behinderung) dieser Krankheitsschübe abzuschwächen. Weil ein akuter Schub durch Entzündungsherde im Gehirn oder Rückenmark ausgelöst wird, wird in der Regel Kortison verabreicht, das die Entzündungsreaktion eindämmen soll. Bei der Hochdosis-Schubtherapie werden den Patienten stark dosierte Kortisonmedikamente meist drei Tage als Infusion gegeben.
Zeigt die Kortisontherapie bei einer Entzündung nicht das gewünschte Ergebnis, besteht die Möglichkeit der Blutwäsche (Plasmapherese), ähnlich einer Dialyse bei Nierenerkrankungen. Diese Form der Therapie sollte nur in spezialisierten MS-Zentren durchgeführt werden und ist meist bei schweren Schüben ein Thema. Bei der Blutwäsche wird dem Patienten Blut entnommen, was anschließend in speziellen Apparaturen vom flüssigen Plasma gereinigt und durch neues Plasma ersetzt wird. In Zyklen soll so das Blut von entzündungsauslösenden Substanzen gereinigt werden, die die Myelinschicht angreifen und eine Schädigung nach sich ziehen.
Die zweite Säule der Therapie erfolgt nach der tatsächlichen Verlaufsform der Multiplen Sklerose. Die medikamentöse Behandlung ist als Langzeittherapie ausgerichtet. Die Wahl der Arzneimittel resultiert aus der Diagnose, ob es sich bei der Erkrankung um eine milde oder eine hochaktive Form der MS handelt.
Zur Therapie der milden oder auch moderaten Multiplen Sklerose, werden unterschiedliche Medikamente empfohlen. Sogenannte Interferon-beta-Medikamente sind bereits seit über 20 Jahren zur Behandlung zugelassen und werden zur Reduzierung der Häufigkeit von Schüben eingesetzt. Interferon kommt als Botenstoff auch im menschlichen Immunsystem vor und wird in den Muskel gespritzt. Eine Alternative kann Glatirameracetat sein. Bei beiden Arzneimitteln konnte eine Reduzierung der Krankheitsschübe von bis zu 30 Prozent nachgewiesen werden.
Teriflunomid war das erste Medikament zur Therapie von MS, das in Tablettenform erhältlich ist. Es unterdrückt die körpereigenen Immunreaktionen und wirkt zudem entzündungshemmend. Auch Dimetyhlfumarat wird als Tablette eingenommen und entwickelt einerseits eine schützende Funktion auf die Nervenbahnen und entfaltet andererseits eine entzündungshemmende Wirkung.
Als Reservemittel dient das Azathioprin. Der Wirkstoff wird eigentlich in der Tumortherapie eingesetzt. Medikamente mit diesem Wirkstoff werden verschrieben, wenn die oben genannten Wirkstoffe keine Wirkung zeigen oder zusätzliche Autoimmunerkrankungen vorliegen.
Gemäß Leitlinie „Diagnose und Therapie der Multiplen Sklerose“ kommen für Patienten, bei denen die Behandlung mit Beta-Interferon, Glatirameracetat Teriflunomid oder Dimetyhlfumarat keine Wirkung zeigt, Fingomolid (wird in Tablettenform eingenommen), oder Natalizumab, welches als Infusion verabreicht wird oder Alemtuzumab infrage. Diese Wirkstoffe werden ausschließlich zur Behandlung der hochaktiven Multiplen Sklerose eingesetzt. Als Alternativen stehen die Wirkstoffe Mitoxantron oder Cyclophosphamid zur Verfügung.
Alle Medikamente dienen der Langzeittherapie und der Vorbeugung von Entzündungsherden. Sie beeinflussen das Immunsystem auf unterschiedliche Weise und haben teilweise heftige Nebenwirkungen, weshalb Patienten mit einer hochaktiven MS stetiger ärztlicher Kontrolle bedürfen.
Bei sekundär progredienter Verlaufsform sind die Wirkstoffe Interferon-beta oder Mitoxantron zur Therapie empfohlen. Auch das Cyclophosphamid kann eingesetzt werden.
Die dritte Behandlungssäule ist die symptomatische Therapie. Dabei geht es in erster Linie darum, Schmerzen und andere Symptome, die sich auf den Alltag auswirken, zu behandeln und so die Lebensqualität der Betroffenen zu erhöhen. Weil die Symptome der Multiplen Sklerose individuell verschieden sind, ist auch die symptomatische Therapie stets auf die Beschwerden des Patienten zugeschnitten. Zur Behandlung sind medikamentöse Maßnahmen ebenso möglich wie Ergotherapie und Physiotherapie.
Bei etwa 70 Prozent der MS-Patienten tritt Spastik im Laufe der Erkrankung als Begleiterscheinung auf. Je nach Schwere wirkt sie sich unmittelbar auf das alltägliche und berufliche Leben des Patienten aus. Die Ziele der therapeutischen Maßnahmen liegen vor allem in der Steigerung der Mobilität, dem Erhalten physiologischer Bewegungsmuster, der Reduzierung von Schmerzen sowie der Vorbeugung von krankheitsbedingten Deformierungen.
Die Leitlinie empfiehlt als erste Behandlungsform Physiotherapie mit und ohne Geräte. Mit speziellen Trainings, zum Beispiel auf dem Laufband oder dem Ergometer, lernen die Betroffenen ihre Muskulatur zu stärken und Bewegungsabläufe zu normalisieren. Medikamente wie Antispastika oder Muskelrelaxanzien sollen helfen, die spastischen Störungen zu minimieren und einzudämmen.
Bei der Therapie von Bewegungskoordinationsstörungen (Ataxie) und unkontrollierbarem Zittern (Tremor) zielen die Behandlungsmethoden darauf ab, dem Patienten seine Eigenständigkeit und Unabhängigkeit zu sichern. Auch hier empfiehlt die Leitlinie eine Kombination aus physio- und ergotherapeutischen Maßnahmen. Medikamente kommen erst zum Einsatz, wenn Physio- und Ergotherapie nicht den gewünschten Erfolg zeigen.
Bei bis zu 90 Prozent der MS-Patienten tritt das Fatigue-Syndrom als Begleiterscheinung der Multiplen Sklerose auf. Die erhöhte Erschöpftheit und Müdigkeit beschränkt die Patienten in Alltag und Berufsleben unmittelbar, weshalb die Lebensqualität bei Menschen mit Fatigue reduziert ist.
Die Deutsche Gesellschaft für Neurologie verweist darauf, dass die Ursachen der Fatigue bis heute nicht abschließend erforscht sind, was eine Therapie erschwert. Aerobes Training sowie die klare Strukturierung des Tagesablaufs mit geplanten Pausen konnten bei vielen Patienten zumindest den Umgang mit der Erkrankung erleichtern. Teilweise haben auch Medikamente wie Modafinil und einige Antidepressiva bei einzelnen Patientengruppen eine Milderung der Symptome erzielt.
Unter kognitiven Störungen werden Aufmerksamkeits- und Konzentrationsstörungen, eine reduzierte oder verzögerte Informationsverarbeitungsfähigkeit sowie Gedächtnisstörungen zusammengefasst. Aufmerksamkeitstrainings haben sich bei MS-Patienten mit diesen Symptomen teilweise erfolgreich gezeigt. Die Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Neurologie verweist auf eine reduzierte Therapierbarkeit der kognitiven Störungen, weshalb häufig eine Psychotherapie zur Besserung des Umgangs mit den Symptomen als sinnvoll erachtet wird. Studien mit medikamentösen Methoden zeigten bisher keinen langfristigen Erfolg.
Bis zu 97 Prozent der MS-Patienten sind von Blasenstörungen betroffen. Eine fachärztliche Betreuung durch einen Urologen dient als erste Maßnahme der Therapie, um die Funktionsstörungen genau zu spezifizieren. Je nach Diagnose unterstützen verschiedene Medikamente die Normalisierung der Blasenfunktion. Auch ein Blasenkatheter, Beckenbodentraining, ein Blasentagebuch oder der Intermittierende Selbstkatheterismus können zum Einsatz kommen. Um Harnwegsinfektionen entgegenzuwirken, wird generell eine hohe Flüssigkeitszufuhr empfohlen.
Etwa 75 Prozent der männlichen und 50 Prozent der weiblichen Patienten mit Multipler Sklerose sind von sexuellen Störungen betroffen. Bei organischen Ursachen können entsprechende Arzneimittel zum Einsatz kommen. Vor dem Einleiten einer entsprechenden medikamentösen Therapie multipler Sklerose muss allerdings abgeklärt werden, ob die Dysfunktion eine Begleiterscheinung eines bereits verabreichten Medikaments sein könnte. Weil sich dieses Symptom auf die Partnerschaft auswirken kann, werden psychotherapeutische Maßnahmen empfohlen.
Zum Erhalt der körperlichen Leistungsfähigkeit wird insbesondere bei Spastik, Koordinationsstörungen, Lähmungen und Tremor aber auch bei Blasenfunktionsstörungen physiotherapeutisch behandelt. Hierzu gehören spezielle Muskelaufbautrainings, Erlernen von Methoden zur Verbesserung des Gleichgewichtssinns sowie gymnastischen Einheiten zur Verbesserung der Beweglichkeit und Bewegungsabläufe.
Die ergotherapeutischen Maßnahmen zielen darauf ab, den Patienten Bewegungs- und Verhaltensabläufe aus dem Alltag zu erleichtern. Zur Ergotherapie gehört der Umgang mit Hilfsmitteln, aber auch das Erlernen alternativer Bewegungsabläufe. Mittels Ergotherapie kann eine Umstrukturierung von Gehirnfunktionen erreicht werden: Verlorene Fähigkeiten durch zerstörte Nervenbahnen können von anderen Hirnbereichen übernommen und somit neu gelernt werden.
Die Logopädie kommt bei Sprach- und Schluckstörungen als einzeltherapeutische Maßnahme zum Einsatz. Die Therapie richtet sich vor allem nach der bewussten Wahrnehmung von muskulären Vorgängen beim Schlucken und Sprechen. Mit einer Sprachtherapeutin lernen die Patienten, ihre Gesichts- und Kehlkopfmuskeln zu kontrollieren.
Die Multiple Sklerose kann zwar auch nicht geheilt werden, wenn sich Betroffene ausgewogen ernähren. Jedoch kann die Aufnahme bestimmter Nahrungsmittel und eine bewusst gesunde Ernährung für einen günstigeren Krankheitsverlauf sorgen und Symptome und Beschwerden zumindest lindern. Forscher haben beispielsweise herausgefunden, dass das regelmäßige Essen von Fisch die entzündlichen Prozesse bei MS verlangsamen kann. Experten zufolge sollten MS-Patienten daher mindestens zweimal wöchentlich Fisch auf den Speiseplan setzen, Fleisch und tierische Fette dagegen nur in geringen Mengen zu sich nehmen. Generell gilt es für Erkrankte fettreiche Mahlzeiten meiden, da Fett und Übergewicht die Symptome von MS verstärken und den Verlauf der Krankheit negativ beeinflussen können. Pflanzliche Lebensmittel, Obst und Gemüse können sich hingegen aufgrund der darin enthaltenen Vitamine positiv auf die Gesundheit auswirken und Fortschritte hinsichtlich des Wohlbefindens bewirken.
Sabrina Mandel